Pai, Thailand, 29.12.2014

 

Ich habe Thailand von Kambodscha aus durch die Hintertüre betreten, wollte der stark befahrenen Strecke zwischen Bangkok und Siem Reap ausweichen und landete weit im Osten des Landes. Diesen schönen, ruhigen Zugang erkaufte ich allerdings auf eine recht anstrengende Art: auf der gewählten Strecke gabs in Kambodscha kaum Unterkünfte, die erste Etappe war deshalb knapp 140 km lang. Mit Gegenwind, anspruchsvollem Gelände und brütender Hitze kein leichter Anfang für eine Velotour. 6 Liter Wasser später aber war das Guesthouse in Anlong Weng Tatsache. Der Beginn der Etappe war speziell: ein Marathonlauf durch die riesige Anlage von Angkor Wat hat Tausende von Weissen aus aller Welt angezogen, die für einen guten Zweck 41 km unter die Füsse nahmen. Ich bin meine ersten Kilometer mit ihnen gefahren.

Tags drauf war das Hauptziel, heil über die Grenze von Kambodscha nach Thailand zu kommen. Dazu die Vorgeschichte: auf dem thailändischen Konsulat in Bern hat man mir telefonisch versichert, als Schweizer brauche ich kein Visum in Thailand, sofern ich nicht mehr als 30 Tage im Land bleiben wolle. Will ich nicht. Das war irgendwann mal im letzten Sommer. Ein paar Tage vor meiner Abreise Ende November bin ich per Zufall darauf gekommen, dass diese Information bloss für Schweizer gilt, die per Flugzeug nach Thailand reisen. Velofahrer hingegen brauchen bereits nach 15 Tagen ein Visum (warum das so ist, wurde nicht erklärt). Wieder habe ich das thailändische Konsulat in Bern angerufen und um ein Expressvisum gefragt. Nach einiger Diskussion sah die zuständige Mitarbeiterin meine Notlage und bestellte mich mit sämtlichen Dokumenten (ausgefüllter Antrag, 40 Stutz, Flugticket, Passfoto, Bankauszug und Schweizer Pass) ins Liebefeld auf das Visumbüro. Als ich dort ankam, hat mir die gleiche Mitarbeiterin beschieden, dass sie leider keine Zeit hätten, mir ein Expressvisum auszustellen, ich müsse nach Zürich auf die Botschaft. Das liess ich dann aus Zeitgründen bleiben und beschloss, mich in Kambodscha auf die Suche nach einem Visum zu machen.

Ein Internetartikel warnte ausdrücklich davor, die thailändische Botschaft in Phnom Penh aufzusuchen, es seien Fälle bekannt, wo Antragsteller neben den offenbar üblichen endlosen Wartezeiten und Demütigungen Beschimpfungen und sogar Schlägen ausgesetzt wurden vom Botschaftspersonal. "Oha", dachte ich. Weitere Recherche brachte mich dann auf eine Töffligarage namens Lucky Lucky Motor in Phnom Penh, wo offenbar Visa für Thailand beschafft würden. Nach längerem Suchen und Durchfragen fand ich das besagte Lokal, wo man tatsächlich bereit war, mir für 30 Dollar ein Visum für Thailand auszustellen. Eher der Not als dem Verstand gehorchend deponierte ich die geforderten Dokumente inklusive meinem Pass dort und konnte 3 Tage später ein fixfertiges thailändisches Visum in Empfang nehmen, das so echt war, dass der thailändische Zöllner nicht mit der Wimper zuckte, als er es abstempelte. Auch die vorherige Untersuchung am Gesundheitscheckpoint habe ich mit Bravour gemeistert: der Infrarot-Fiebermesser attestierte mir trotz Schattentemperaturen von über 31 Grad unbedenkliche 34,3 Grad Körpertemperatur. Cool, dachte ich.

 

Thailand verbinde ich unwillkürlich mit Sextourismus und gekauften Ehen. Sobald ich in der Schweiz ein Pärchen sehe, wo sie wie eine Thai aussieht denke ich automatiscch, dass ihr Mann sie gekauft hat. Mit diesem Vorurteil bin ich nicht allein und es ist auch nicht falsch. Die Zahl der jährlich ins Ausland verheirateten thailändischen Frauen geht in die Zehntausende, allein in der Schweiz sollen es gegen Tausend pro Jahr sein.

Im ländlichen Osten des Landes, Isaan genannt bemerkt man nichts vom Sextourismus. Die Leute hier sind sich nicht an Touristen gewohnt, als Weisser bin ich hier die grosse Ausnahme. Farang (ausgesprochen Falang) werde ich genannt. Die Region hier ist arm, die Leute müssen mit wenig auskommen. Zwar hat es im Gegensatz zu Kambodscha breite Strassen, dicke Autos und übergewichtige Menschen, verlässt man die Hauptverkehrsachsen kehrt sehr schnell ländliche Idylle ein. Die Arbeit auf dem Feld ist hart und wird allermeistens von Hand verrichtet. Lachen und heitere Stimmung überall. Die Leute sind friedlich und freundlich, und alles klappt. Im Dorfladen kann man sich mit dem nötigsten versorgen, den Rest gibt es auf dem Markt. Hier werden sorgfältig und stolz Dinge des täglichen Lebens angeboten: frische Blumen, frisches Fleisch, frischer Fisch, gebratene und frittierte Süssigkeiten und immer wieder frisches Gemüse und Früchte. Viele davon kenne ich nicht. In den Garküchen werden sie vorab zubereitet und verkauft, in der Regel mit Reis. Fleisch, Geflügel und Fisch werden dazu serviert, aber in viel kleineren Portionen als in Europa. Die Preise für solches Essen sind enorm tief. Ein bis zwei Franken kostet ein Teller mit gebratenem Reis und einem Getränk. Das Essen ist sorgfältig gemacht, mit Gemüse, Zwiebeln, Knoblauch und frischen Kräutern, häufig scharf bis sehr scharf.

 

Ich habe grosse Achtung vor diesen Menschen. Trotz materieller Armut leben sie eine Kultur der Sorgfalt: wie der Bauer sein Reisfeld bearbeitet, wie die Marktfrau ihr Gemüse schichtet, wie der Masseur vor der Massage ein Gebet spricht, wie der Lastwagenfahrer auf der Sandpiste abbremst und mich kreuzen lässt – vieles geschieht mit grosser Geduld und Respekt.

Natürlich kennen auch die Thais Probleme und natürlich ist nicht jedes Lächeln ehrlich gemeint. Dennoch beeindruckt mich die selbstverständliche und offensichtliche Lebensfreude. Ich habe bisher viele herzliche Szenen zwischen Eltern und Kindern gesehen. Auffällig viele Väter und Grossväter haben Kinder bei sich. Natürlich auch auf dem Töff. Manche Kinder schlafen auf dem Töff, irgend ein Arm hält sie.  Anders als in Europa, wo mir Thaifrauen oft etwas unterwürfig erscheinen hat es hier viele selbstbewusste Frauen, die mich von sich aus ansprechen oder durchaus auch auslachen - dass sich ein reicher Weisser in ihre Gegend verirrt und dann noch freiwillig auf dem Velo schweres Gepäck schleppt ist doch eher strange, oder halt typisch farang.

 

Die Verständigung ist recht schwierig. Die meisten Leute sprechen wenig oder gar kein Englisch, und ich kein Thai. Oder manchmal reden sie englisch, und ich merke es nicht. Sie haben glaub nicht gerne Konsonanten: "fra ra" heisst fried rice. A heisst ice. "Twa o lo" heisst twelve o clock. In Kambodscha wars ähnlich. In Phnom Penh ging ich zur Massage, folgte der jungen und leicht bekleideten Masseurin in ein dunkles, geheimnisvolles Gemach wo sie sich zwischen meine Beine setzte und zu massieren begann. „You tell me if I make you hot, then I take cream“ hörte ich sie sagen, als ich langsam wegschwebte. Aha, dachte ich und überlegte mir, welcher Art wohl diese Creme sein würde. Etwas später stöhnte ich laut auf, weil sie mich an der Wade zu fest angefasst hatte. „I told you tell me if I make you hurt, then I take cream“ wiederholte  sie und diesmal verstand ichs richtig. Sie nahm dann Creme und plapperte vergnügt „you are like lady“.

Im Gegensatz zu Kambodscha kennt Thailand allergattig globalisierte Errungenschaften: Capuccino zb bekommt man hie und da, zt sehr guten. Littering ist ein Volkssport. Einige Strassenabschnitte sind voll von Plasticsäcklein, die achtlos in den Graben geworfen werden. Auch viele tote Tiere liegen am Strassenrand: Hunde, Vögel und immer wieder Schlangen und Frösche. Hello Kitty lauert an jeder Ecke: vom Kugelschreiber über die Computermaus über T Shirts  über Motorroller bis zu Lastwagen werden gestaltet mit diesem doofen Wesen. Verkehrsregeln gibt es, und sie werden oft eingehalten. In Kambodscha gabs keine, auch die Fahrtrichtung rechts wurde bloss als Anregung gehandhabt. Die Verkehrsmasse in der Stadt erinnerte mich an einen Diffusionsvorgang unter Autos, Tuktuks, Töffli, Velorikschas, Fussgängern und Hunden. Entgegen den Warnungen zt auch in Reiseführern sind die Autofahrer (und auch die Lastwagenfahrer!) in Thailand mir Velofahrer gegenüber sehr rücksichtsvoll. In der Nacht würde ich nicht gerne auf der Strasse sein, aber tagsüber wars bisher ausgesprochen angenehm.

 

Thailand ist eine landwirtschaftliche Macht. Die rote Erde ist ausgesprochen fruchtbar und die Menschen wissen sehr geschickt damit umzugehen. Das Wasser aus der Regenzeit wird in zahllosen Staubecken gesammelt und zum Bewässern verwendet. Ausgeklügelte Kanalsysteme sowie einfache Pumpen erlauben einen sehr effizienten Einsatz. Flächendeckend angebaut habe ich gesehen: Reis (sehr aufwändig, viel von Hand), Mais, Zuckerrohr, Maniok, Gummibaum und Bananenpalmen. Dazwischen hat es unzählige Kleinpflanzungen wo alle erdenklichen Gemüse und Früchte wachsen. In jedem Dorf hat es Hühner, manchmal sieht man ein armes Schwein, das gerade zum Metzger gebracht wird. Und auf den abgeernteten Reisfeldern fressen Wasserbüffel Stroh und legen sich wohlig in Schlammgruben.

 

A propos Wasser: im Hotel in Phitich habe ich etwas neues erlebt in Sachen Dusche: nur heisses Wasser. Nur kaltes Wasser kenne ich zur Genüge, nicht nur aus Asien. Aber nur heisses war neu. Es war nun aber richtig heiss, nicht nur warm, ich konnte mich also nicht unter den Strahl stellen. Nach längerem Pröbeln habe ich heraus gefunden, dass der Duschstrahl etwas schwächer und kühler wurde, wenn ich den Hahnen der Badewanne ganz öffnete. Nun konnte ich also duschen, aber nicht in der Wanne stehen, weil das heisse Wasser mir die Füsse verbrannte. Blöde Situation. Nach längerem Hirnen fiel mein Blick auf einen Rattansessel. Ich entschuldigte mich bei ihm, stellte ihn in die Wanne und duschte dann im Sitzen, die Füsse hoch gelagert.

 

12.1., Luang Prabang, Laos

Seit dem 2. Januar bin ich also in Laos, dem unbekanntesten der Länder auf der geplanten Route. Der Unterschied zu Thailand könnte nicht grösser sein: der Riesenfluss Mekong bildet die Landesgrenze und trennt gleich auch thailändisches Flachland von laotischen Hügeln. Sobald der Mekong überschritten ist, geht’s obsi, und zwar zünftig. Velofahren in den Hügeln ist einerseits sehr schön, weil die Aussicht oft ändert und die Fahrt sehr abwechslungsreich ist. Andererseits nervts, dass die gewonnene Höhe ennet der Kuppe gleich wieder durch eine Abfahrt vernichtet wird. Nach einigen Tagen rauf und runter habe ich den Rhythmus gut gefunden und einige sehr schöne Streckenabschnitte gefahren.

 

Auch von der Mentalität der Menschen her gibt es grosse Unterschiede: Die Thais habe ich als sehr zugänglich, offen und neugierig erlebt. Zudem wird man als Tourist in Thailand in kürzester Zeit mit dem Phänomen der Ladyboys konfrontiert. Biologisch gesehen sind das männliche Wesen, die sich selber aber (graduell unterschiedlich) als Frauen sehen. Das tun sie zt in Männerkleidung, zt in Frauenkleidung, zt mit Hormontherapie, zt nach Geschlechtsumwandlungen. Die Spannweite ist gross. Diese Ladyboys sind offenbar gesellschaftlich komplett integriert und akzeptiert, nicht so wie Transgender-Menschen in Europa. Diese Toleranz ist scheints buddhistischen Ursprungs: in alten Schöpfungsmythen werde erwähnt, dass der Mensch als Mann, als Frau und als drittes Geschlecht geschaffen werden könne. Diese Ladyboys arbeiten vornehmlich in Restaurants und Hotels. Mein erster Eindruck der Thai-Männer war also eher tuntiger Natur.

 

Von den Laoten nun kann ich das überhaupt nicht sagen, im Gegenteil. Die ersten, die ich getroffen habe, waren knorrige Bergler und misstrauische Mürggle, die auf mein akzentfreies „Sabaidee“ (guten Tag) schlicht nicht reagiert haben. Wohl nach dem Motto „Fremde grüsse ich nicht“. Als gebürtigem Berner Oberländer ist mir dieser Menschenschlag bestens vertraut und ich fühlte mich von Anfang an wie daheim in Laos. Erklären lässt sich diese Zurückhaltung wohl damit, dass der Tourismus in Laos ein relativ neues Phänomen ist. Ein Mann in Luam Prabang hat mir erzählt, die ersten Touristen seien etwa Mitte der neunziger Jahre aufgetaucht. Er selber ist froh um den Tourismus, er sagt, die Stadt lebe zum grossen Teil davon.

 

Andere sind glaub weniger glücklich. Gestern Morgen bin ich früh aufgestanden und habe mir die allmorgendliche Mönchsjagd angesehen: eine Kolonne von orange gekleideten, barfüssigen und glatzköpfigen Mönchen bewegt sich still durch die Strassen, an deren Rand gläubige Buddhisten sitzen (bzw vor allem Buddhistinnen) und den Mönchen Essen geben – in der Regel Reis. Eine schöne Sache, könnte man meinen. Wären da nicht all die Touristen, die wie ich früh aufgestanden sind, um die ultimativen Mönchsbilder zu schiessen. Ich habe einigen Profis zugeschaut, die mit grossen und lichtstarken Objektiven aus angemessener Distanz Bilder gemacht haben. Ich habe aber auch vielen Durchschnittstouristen zugeschaut, die mit ihren Bauchtäschli-Knipsomaten vor die Mönche hingestanden sind und sie abgeblitzt haben von oben bis unten. Und ich habe Leute gesehen, die sich nicht entblödet haben, mit der Handykamera im Anschlag neben einen Mönch zu stehen und ein Selfie zu machen. „Monks are not Monkeys“ hat ein ranghoher Geistlicher in Luang Prabang diesbezüglich kürzlich klar gestellt. Genützt hat es aber bisher offenbar wenig.

 

In den Bergen leben noch etliche ethnische Minderheiten, in separaten Dörfern mit ihren althergebrachten Bräuchen was Ernährung, Kleidung und Arbeit anbelangt. Das sieht teilweise sehr hübsch aus, das Schicksal ist aber eher bedrückend. Oft ist es so, dass Kinder bloss die Primarschule besuchen, also nach 5 Jahren keine Bildung mehr erhalten. Was ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht grösser macht. Ohnehin gibt es in diesen Randgebieten wenig Arbeit. Die meisten Menschen arbeiten auf dem Feld, sei es für den Eigengebrauch oder auf Plantagen. Im Norden wird im grossen Stil Kautschuk angebaut. Dafür wurde im Auftrag chinesischer Firmen viel Primärwald gerodet und durch Gummibäume ersetzt. Den Bauern wurden langfristige Abnahmeverträge geboten. Ein gutes Geschäft für beide Seiten: die Chinesen erhalten tonnenweise Kautschuk für ihre Gummiproduktion, die Laoten ein gesichertes Einkommen und Arbeit in ihren abgelegenen Regionen. Allerdings geht die Rechnung nur für die eine Seite auf: der Kautschukpreis ist nämlich vom Weltmarkt abhängig und beträgt aktuell nur noch ca 15% des ursprünglichen. Und die Region wird entwässert durch die immensen Mengen Grundwasser, die die Plantagen an die Oberfläche ziehen. Man rechnet damit, dass der Norden in 30 Jahren von der ehemaligen Regenwaldzone zur trockensten Region des Landes geworden ist. Woher ich das alles weiss? Ich habe einen Tag mit einem Führer in den Dörfern verbracht und er hat viel zu erzählen gewusst.

 

Viele dieser Landbuben landen dann Novizen in Klöstern, wo sie für einige Jahre ein Mönchsleben führen. Dabei erhalten sie auch weltliche Bildung, wie Mathematik, Englisch oder Geografie. Die Geografie hat auch mich immer wieder beschäftigt, vor allem in Thailand war die Wahl der richtigen Route oft schwierig. Da ist Laos einfacher, es gibt in der Regel nur eine Strasse, und die ist meistens wenig befahren.

Es gibt für Südostasien wenig gute Papierkarten für Velotouren, also genaue Karten in kleinem Massstab, wo auch Nebenstrassen vermerkt sind, allenfalls Höhenkurven verfügbar etc. Die Hoffnung, vor Ort genauere zu bekommen, zerschlugen sich sehr schnell.

Ich war auf diesen Fall einigermassen vorbereitet und hatte im Vorfeld versucht, mich im Dschungel der Online-Karten  zurecht zu finden. Gekauft habe ich flottes Programm namens Maps Pro, das allerdings nur auf dem PC funktioniert und nicht auf dem Handy. Dort hingegen funktioniert Locus, das in diesem Fall ein Kartenprogramm meint und nicht ein stilles Örtchen.

Derart gerüstet sollte eigentlich die Routenvorbereitung auch ohne Papierkarte einfach sein. Ist sie aber nicht. Denn jedes dieser Programme hat seine Tücken:

Locus ist zwar offline auf dem Handy verfügbar, also unterwegs im Funkloch gäbig, aber nicht so genau. Immerhin hat es Dorfnamen, die aber nicht immer korrekt sind. Nebenstrassen werden nur teilweise aufgeführt. Dafür hat es Höhenlininen.

Maps Pro stützt sich auf Google Maps, das zwar sehr genau ist, jedoch für Südostasien keine Dorfnamen zeigt, nur die Strassen. Dafür erscheinen Provinznamen, die oft mit denen der jeweiligen Hauptstadt übereinstimmen. Das führte zu einer grösseren Planungspanne: auf dem Routenplaner erschien die Strecke von Chai Badan nach Nakhon Savan gute 120 km lang, eine angenehme Tagesetappe. In Tat und Wahrheit war sie aber bedeutend länger, weil ich auf dem Routenplaner den Provinznamen Nakhon Savan angeklickt hatte. Die Laune unterwegs ist merklich schlechter geworden, als mir der Fehler klar wurde. Statt um 3 Uhr nachmittags gemütlich Feierabend zu machen, zu duschen, die Beine ein bisschen hochzulagern und dann einen Spaziergang zu unternehmen wurde ein Ritt von fast 170 km nötig bis nach Nakhon Savan. Mitten im Abendverkehr bin ich angekommen und brauchte noch mehr als eine Stunde, um die Unterkunft zu finden.

 

Google Maps zeigt auch Unterkünfte an. Das ist einerseits sehr praktisch, weil man dann die Etappen nach den Unterkünften legen kann. Andererseits aber auch unpraktisch, weil viele dieser Unterkünfte schlicht nicht existieren oder die angegebenen Adressen bei weitem nicht stimmen. So landete ich zb in Phitchit genau vor dem lokalen Polizeiposten, als ich das gesuchte Resort vermeintlich gefunden hatte. Ein Tschugger hat mich dann freundlicherweise mit dem Töff an den richtigen Ort eskortiert.

 

Ähnliches ist passiert in Phitsanoulok: über das Hotelportal Agoda hatte ich eine hübsche Unterkunft namens Plaza Hotel gebucht. Auf der Buchungsbestätigung fand sich ein Link mit der Situationskarte des Hotels. Coole Stadt, dachte ich beim Betrachten, umgeben von breiten Flüssen, schachbrettartig angelegte Strassenzüge, ein riesiger Park – sieht ein bisschen aus wie New York. Bis ich merkte, dass der Link tatsächlich nach Amerika führte, in Manhattan steht das etwas bekanntere Plaza Hotel…Das in Phitsanoulok musste ich dann erfragen.

Schlussendlich hat sich das Smartphone mit Google Maps mit den genannten Vorbehalten als taugliches Navigationssystem heraus gestellt. Es ist erstaunlich genau. Wenn eine Strasse als durchgängig gezeichnet ist, dann war sie das auch. Der Belag ist nicht ersichtlich, es kann sich also auch um eine Naturstrasse handeln, aber nu. Und der eingebaute GPS-Sensor hat jeweils nach spätestens einer Minute meine korrekte Position angegeben. In die Planung und Durchführung der Tour hat die elektronische Karte durchaus Vorteile, vor allem das grosse Netz von unklassifizierten Nebenstrassen wird dadurch plötzlich befahrbar und ermöglicht wunderbare Einsichten ins Dorfleben.

 

Unterwegs habe ich einige Tourenfahrer mit einem GPS-Gerät am Lenker gesehen. Das wäre wohl die konsequenteste Lösung. Neben zwei Kameras, zwei Handies und einem Laptop aber noch ein GPS-Gerät mit zu nehmen, das gekauft,  bestückt, getragen und geladen werden muss, wäre mir aber definitiv zu viel. Zudem vergibt man sich so die Chance, sich auch mal richtig zu verirren. Nach meiner Erfahrung von vielen Velotouren habe ich die besten Fotos und die sympathischsten Begegnungen mitunter dann gemacht, wenn ich mich komplett verfahren habe.

Kratie, 8.2.15

Etwas vom wenigen, das mich stört auf dieser Reise ist die Musik, genauer gesagt die thailändische Popmusik. Sie ist etwas vom allerschlimmsten, das einem passieren kann. Das hat verschiedene Gründe. Erstens tönt sie, wie wenn sie von einem Kompositionsprogramm auf einem billigen Laptop erfunden worden wäre, bei dem die Kontrollkästchen „schwülstig“, „beliebig“, „oberflächlich“ etc. allesamt angeklickt waren. Thailändische Popmusik imitiert die westliche und fügt gleich noch Musical- und Operelemente dazu. Schrecklich. Zweitens wird sie im ganzen südostasiatischen Raum gespielt, also auch in Laos, Kambodscha und so weiter. Es ist schwer, ihr zu entkommen. Ich habe kürzlich auf einem einsamen Pass in den laotischen Bergen Mittag gegessen, in einer windigen Garküche auf gut 1200 Metern. Was tut der Wirt, um den Gast aus dem Westen zu erfreuen? Er fummelt so lange an seinem Handy herum, bis er doch tatsächlich diesen doofen Song gefunden hat, den ich schon in Thailand nicht mehr hören mochte und ihn seit 14 Tagen aus meinem Kopf verbannen will. Drittens: Thailändische Popmusik erschallt von früh bis spät. In Laos zb ist es durchaus üblich, dass am Morgen knapp vor sechs irgendwo ein Radiosender aufgedreht wird an einem blechernen Lautsprecher, der grosszügig das ganze Dorf beschallt. Da wechseln sich Nachrichten, Werbung und eben thailändische Popmusik ab, den ganzen Tag lang. Auch am Abend wird gerne Musik gehört, und gerne auch laut, zb im Restaurant, Hotel oder Guesthouse. Wer grosses Pech hat, hat ein Zimmer gebucht in einem Etablissement, das auch Karaoke anbietet. Da finden sich dann va am Wochenende jugendliche und andere Teilzeit-Barden ein und frönen der Wiedergabe wohlfeiler Weisen. Aus Thailand und lautstark. Dabei fliesst das Bier in Stömen und schon bald gemahnen diese trüben Songs eher an an Freejazz als an Mainstream.

Wer sich selber überzeugen will: eine bekannte Band aus Thailand heisst Tattoo Colour und ihr Schrott findet sich zuhauf auf Yotube.

Ich habe daneben auch sehr schöne Musik gehört unterwegs, vor allem in Kambodscha. In Phnom Penh und Angkor sassen oft beim Tempel kleine Musikgruppen unter Baldachinen und haben ihren einfachen, akustischen Instrumenten sehr urtümliche, stimmige Klänge entlockt. Ein etwas anderer Stil ist als „Mekong Blues“ bekannt. Eine Stimme und eine kambodschanische Gitarre . Für westliche Ohren anfänglich etwas gewöhnungsbedürftig, aber erdenschön. Bei Interesse: auf Youtube gibt es zb Aufnahmen von Master Kong Nay oder von der jungen Ouch Savy. Sie haben auch ein gemeinsames Album aufgenommen: Mekong Delta Blues. Erinnert von weitem an Buena Vista Social Club und ist einfach schampar schön.

Satten Sound machen auch die laotischen Mönche in den Klöstern. Wenn die jungen Burschen eine halbe Stunde auf die grosse Trommel im Hof hauen und dazu überall auf dem Hof Rhythmus gemacht wird, dann breitet sich eine eingängige Stimmung von Frieden und Kraft aus, bei mir jedenfalls. Ich konnte zweimal dabei sein, sehr eindrücklich.

Viele Orte in Laos beginnen aus irgend einem Grund mit Pak… Es gibt Pakse, Paksan, Paksong, nochmal Paksong und… Pakding. Die werden aber natürlich nicht einheitlich geschrieben, sondern auch Pakxe, Pakxang, Pakxong und Paksong, Pakssong, Pakssang und eben Pakthing. Pakse oder Pakxe, Paksan oder Pakxan und Paksong oder Pakxong sind relativ bedeutende Orte und liegen völlig unterschiedlich. Das kann zu Missverständnissen ohne Ende führen, weil rein von der Aussprache her sind die Orte nicht unterscheidbar, vor allem wenn ausländische Touristen verschiedener Sprache miteinander auf Englisch kommunizieren.

Kürzlich habe ich einen jungen, kanadischen Traveller in der Lobby eines Guesthouses unverhofft in grosse Aufregung gebracht. Er baumlang, mit Vollbart und Tattoes bis zum Hals, ich in den kurzen Velohosen und den Helm auf dem Kopf. Er verlangte zu wissen, wo ich am Morgen gestartet sei. Paksan erwiderte ich wahrheitsgemäss. „But thats a 150 from here“ erwiderte er entrüstet. „Thats right“ meinte ich cool. „You re the son of a gun“ meinte er beeindruckt, und ich strich verstohlen meine Augenbrauen glatt mit dem kleinen Finger. Einige Zeit später in unserem Gespräch wurde mir bewusst, dass es sich hier um ein doppeltes Missverständnis handelte: ich redete von Paksan in Mittellaos, er von Paksong im Süden,  er meinte 150 Meilen, ich dachte an Kilometer… Aus lauter Rücksichtnahme auf seine Ergriffenheit habe ich diese Erkenntnis aber selbstverständlich für mich behalten.

Mit der Rechtschreibung auf Englisch tun sich viele Asiaten sehr schwer, durchaus verständlich und nicht weiter schlimm. Bloss dann, wenn sich jemand so richtig Mühe gegeben hat, ein Schild, ein Plakat oder eine Menukarte zu gestalten und schön zu machen, dann tut es manchmal fast weh. An einer neu eröffneten Tankstelle in Nordlaos zb standen zwei riesige Neonschilder, die den Weg zum richtigen Most wiesen. Auf dem einen Stand DEISEL, auf dem anderen RECULAR…

Oder auch sehr hübsch ist dieser Auszug aus einer Menukarte:



Viele Strassen in Laos sind in einem schlechten, sehr schlechten oder katastrofalen Zustand. Schlechte Strassen sind diejenigen, wo der Asfalt viele Löcher hat, die so tief sind, dass man sie umfahren muss. Das Umfahren ist heikel, weil man gerade im dümmsten Moment von einem Motorroller überholt werden könnte, oder weil auf der Gegenfahrbahn auch gerade jemand umfährt und man zusammen stossen könnte. Sehr schlechte Strassen sind solche, wo der Asfalt entfernt wurde, wohl um neuen aufzubringen. Allerdings hat der zweite Schritt noch nicht statt gefunden und der Verkehr rollt und stiebt auf einer Dreckpiste, auf der sich auch schon Löcher gebildet haben in der letzten Regenzeit. Hier wird der Staub zum Hauptproblem, er nimmt die Sicht und macht das Atmen schwer. Manche dieser Abschnitte sind kilometerlang und führen durch Dörfer. Die armen Bewohner sind selber schon ganz rötlich gefärbt und wissen wohl nicht mehr, wie es ist, Reis zu essen ohne dass es knirscht zwischen den Zähnen. Der Dicke der Staubschicht nach zu schliessen können solche Übergangslösungen auch über lange Zeit dauern. Es gibt schon immer wieder Abschnitte, wo ein Team mit viel Handarbeit eine neue, schöne Strasse am Hinlegen ist. Aber ich glaube, auf ein solches Team kommen zehn, die die alte Strasse wegmachen. Katastrofale Strassen sind solche, die aussehen wie ein Bachbett. Kindskopfgrosse Steine schauen zum Boden heraus und machen das Fahren zu einer Höchstleistung, die viel Konzentration verlangt. Das ganze Velo wird durch geschüttelt, im Sitzen fahren ist kaum möglich. Einmal bin ich einer solchen Strasse begegnet und musste dann umkehren und einen längeren Umweg in Kauf nehmen.

Die Laoten selber rattern über solche Abschnitte mit stoischer Ruhe, auf dem Roller, dem Einachser oder hinten auf der Ladefläche eines Pickups. Die zweimalige jährliche Regenzeit setzt dem Strassennetz enorm zu und eine durchgängige Verbindung zwischen A und B wird überhaupt nicht als selbstverständlich angesehen. Niemand regt sich auf darüber, es ist einfach so. Man begnügt sich mit dem, was man hat.

Ein eindrückliches Beispiel für diese Genügsamkeit habe ich in ganz Laos, vor allem aber in den Bergen im Norden beobachten können. Aus einem Schilfgras werden hübsche, kleine Handbesen hergestellt, die nach China exportiert werden. In den Bergen habe ich immer wieder Leute gesehen, die dieses wild wachsende Schilfgras auch an den unwegsamsten Stellen an steilen Hängen sammeln gegangen sind, häufig barfuss. Die karge Ernte wird dann gebündelt ins Dorf getragen und weiter verarbeitet. Ich dachte mir, dieses Gras muss sehr heikel sein und kann nicht angebaut werden, es wächst nur wild (wie bei uns zb der Steinpilz). Kürzlich aber fand ich heraus, dass das überhaupt nicht stimmt. Die laotische Gastgeberin in einem Guesthouse hat lange in Kanada gelebt und sprach super Englisch. Gleichzeitig kennt sie Laos perfekt. Sie erzählte mir, dass das Gras sehr wohl angepflanzt werden kann und teilweise auch wird, was die Ernte und den Ertrag deutlich vereinfacht und erhöht. Die Völker in den Bergen aber finden das Anpflanzen unnötig, weil sie mit der Ernte der wilden Schilfs genügend verdienen, um ihre wenigen Bedürfnisse zu befriedigen. So bleibt ihnen mehr Zeit fürs Leben. Ok, sagte ich und musste dann länger nachdenken…

Yangon, Myanmar, 26.3.15

Ich habe längere Zeit keinen Blogeintrag mehr geschrieben, ein Grund dafür ist wohl, dass ich mich an einiges hier auf meiner Reise gewöhnt habe. Dinge, die mir zu Beginn fremd und exotisch (und damit blogtauglich) schienen, fallen mir nach gut drei Monaten Südostasien schlicht nicht mehr auf. Ein Beispiel: zu den ersten fremden Eindrücken damals in Laos (Januar 15) gehörte das – sagen wir mal – sehr zurückhaltende Geschäftsmodell vieler Dorfläden. Diese Läden sind oft quasi Teil des Wohnzimmers, gegen die Strasse hin erweitert und offen. Ein Verkäufer oder eine Verkäuferin hingegen fehlt meistens, das hat mich zu Beginn sehr stutzig gemacht. Heute bin ich eher erstaunt, wenn in einem Laden gleich auch eine Bedienung anzutreffen ist, die man nicht suchen oder wecken (oder erst suchen und dann wecken) muss. Ich finde auch den Kassenkübel mit dem Wechselgeld recht schnell und habe keine Hemmungen mehr, mich selber zu bedienen und einen angemessenen Betrag zu deponieren.

Oder für die imposante Geräuschkulisse habe ich glaub einen Filter entwickelt. Den allgegenwärtigen Hahn zb höre ich kaum mehr krähen, ausser ich gebe mir Mühe. Oder das laute, morgendliche Räuspern (berndeutsch: Chodere) vieler vor allem Männer hier stört mich auch nicht mehr.

 

An etwas hingegen habe ich mich bisher nicht gewöhnen können: an all den Ghüder überall.  Ob mitten im idyllischen Bergdorf, dem malerischen Klosterhof, dem frisch gewässerten Reisfeld – überall liegen hunderte Plasticsäcke verstreut und trocknen in der Sonne vor sich hin. Egal ob in Thailand, Laos, Kambodscha, Vietnam oder Myanmar – es scheint, als ob die Verantwortlichen ihr Abfallkonzept in Süditalien abgekupfert hätten. Hunderte male habe ich Säcke, Styroporpackungen, Chipstüten, Petflaschen aus vorbeifahrenden Autos fliegen sehen. Oder ganze Deponien: alte Kühlschränke, zerbrochene Tonkrüge, ausgediente Holzpagoden, Polstergruppen werden irgendwo im Niemandsland zwischen zwei Dörfern direkt von der Strasse in die Natur gekippt. Ich habe viele Leute darauf angesprochen. Alle waren sich der Problematik bewusst und beteuerten treuhzerzig, sie selber würden keinen Abfall weg werfen sondern hübsch sammeln daheim…

Auch dem Hupen kann ich noch nicht mit der nötigen, buddhistischen Gelassenheit begegnen. Gerade auf Strecken, wo sehr wenig Verkehr herrscht, brauchts ja keine Hupe. Dennoch ist es die Regel, dass jeder, der mich überholt oder kreuzt mindestens einmal hupt. Also Töff, Auto und Lastwagen. Und das zerrt dann an den Nerven. Auch das Wissen darum, dass dieses Hupen durchaus freundlich gemeint ist, hilft hier nichts.

 

Einer der schönsten Streckenabschnitte, den ich gefahren bin auf dieser Tour führt in Kambodscha dem Mekong river entlang von Kratie nach Kampong Cham. Mit 120 km eine gäbige Tagesetappe. Die Route führt durch traditionelles Bauerngebiet, was optisch schon mal spannend ist, zugleich lebt hier ein grosser Teil der muslimischen Minderheit in Kambodscha, was sich an der Kleidung der Menschen und den zahlreichen Moscheen (mit Minarett, übrigens) zeigt. Viel Transport geschieht mit den traditionellen Wasserbüffelkarren und tatsächlich werden auch Elefanten eingesetzt, um schwere Lasten zu manövrieren. So weit, so pittoresk. Ebenso touristisch interessant aber wie ich die Leute hier fanden sie umgekehrt mich. Einen Velofahrer, der seinen ganzen Haushalt seitlich an seinem Gefährt montiert hat, Sonnenbrille trägt und enge Hosen fanden sie sehr spannend. Gross und Klein brachen in Begeisterungsstürme aus, als ich angeradelt kam und huldigten mir am Strassenrand. Wunderbar, das schmeichelt dem Ego. So fühlt sich ein Sieger auf der Ehrenrunde. Jedenfalls etwa eine Viertelstunde lang.

Die Tücke dieser Strecke lag darin, dass sämtliche Siedlung entlang der Strasse lag, ein einziges Dorf mehr oder weniger, das sich als schmaler Gürtel parallel der N 9 erstreckt. Oder anders gesagt: die Hölle.

Die Begeisterung ob meiner Durchfahrt pflanzte sich durch dieses nicht endende Dorf wie die Welle im Stadion, immer ein bisschen schneller als ich. Nun bin ich ein freundlicher Mensch oder gebe mir jedenfalls Mühe, und finde es insbesondere erfreulich, wenn die Jugend das Grüssen pflegt. Nun war aber diese Jugend an jenem schönen Tag sehr zahlreich, die Schule wurde bestreikt oder weiss der Teufel warum es hordenweise Kinder und Jugendliche hatte, die laut „Hello“ riefen. Ich gab mir selbstverständlich Mühe, zurück zu grüssen, alles andere wäre daneben gewesen. Doch waren es im Schnitt 6 „Hellos“ pro Minute (ich habe eine zeitlang Statistik geführt), also ob der schieren Menge schwer beantwortbar. Zudem hatte ich Angst, die Stimme zu verlieren. Winken versuchte ich auch eine Weile lang, was aber wegen der katastrophalen Sandpiste gefährlich war. So arbeitete ich mich vor durch den Tag, winkte mal hier halbbatzig und grüsste mal dort ohne Überzeugung. Schliesslich habe ich meine Ansprüche an Höflichkeit aufgegeben, den Helm tief in die Stirn gezogen, die Sonnenbrille festgezurrt und erstmals auf der Tour die Kopfhörer ausgepackt und die Musik so laut gestellt, dass ich für den Rest des Tages kein „Hello“ mehr gehört habe.

Ich habe ein jämmerliches Bild abgegeben.

Ganz schlimm wurde es, als ich pinkeln musste. Über Kilometer suchte ich einen halbwegs leeren Flecken, um diskret verschwinden zu können. Nach längerem fand ich einen, ein leeres Haus mit einigen Bäumen daneben. Doch obacht:  als das Geschäft gerade in vollem Gang war sah ich, dass das Haus keinesfalls leer war, die zahlreiche Familie hatte sich aus welchem Grund auch immer in den ersten Stock zurück gezogen und schaute mir von dort aus interessiert zu.

 

 

Habe ich in Kambodscha einen der schönsten Abschnitte der Tour gefahren, fand ich das Gegenteil davon einige Tage später in Vietnam. Ich habe mittlerweile gut 25 000 km auf Velotouren gefahren und kann ohne zu zögern die schönsten Etappen nennen, die ich geniessen konnte:

Die Masurische Seenplatte in Polen, die Toscana in Italien, das Vercors in Frankreich, die Kilombero Ebene in Tansania, die Gegend um Mbeya in Tansania, die Elephant Mountains in Mocambique, von Oudomxai bis Pakbeng in Laos, die Region um Chiang Mai in Nordthailand, die Gegend nördlich von Siem Reap in Kambodscha und einige mehr habe ich als enorm reizvoll in Erinnerung.

Und seit dem 18.2. kenne ich auch die übelste Strecke, die ich je gefahren bin: Chau Doc nach Can Tho in Vietnam. Da war fast alles erfüllt, was es für eine hässliche Strecke braucht: vorstädtische Siedlungsform über Dutzende von Kilometern mit vielen Ampeln, verkehrsberuhigenden Massnahmen etc., schlechter Strassenbelag, viele Schlaglöcher und kleine Krater, enge Strasse, Gegenwind, Hochnebel, und das ganze gefüllt mit einer Lawine von Blech: Lastwagen, Busse und vereinzelte PWs machten den Löwenanteil des Platzes unter sich aus, der Rest wurde durch Scooter regelrecht geflutet. Scooter, die regelmässig auch auf der falschen Fahrbahn dem Rand entlang fahren und dich zwingen, gegen die Strassenmitte hin auszuweichen. Zu Beginn hat mich das Fahren gestresst, irgendwann konnte ich es nehmen wie ein Computerspiel, wo man etwas Heikles (zb ein rohes Ei) geschickt durch stählerne Ungetüme aus allen Richtungen steuern muss. Dieser Tag war komplette Zeitverschwendung. Einzig Regen hätte die Bedingungen noch verschlechtern können. Da keine Besserung in Sicht war, bin ich am nächsten Morgen auf den Bus umgestiegen und habe in Vietnam bloss noch eine einzige Etappe gefahren (die hingegen sehr schön war). 160 km von Phan Thiet nach Vung Tau: breite Strasse, kein Verkehr, schöne Wolkenformationen, Rückenwind und unterwegs eine Beiz, die guten Cappucino im Angebot hatte.

 

Eigentlich hatte ich geplant, zum Schluss der Reise noch zweidrei Wochen in einer Hängematte am Strand zu liegen, zb in Bali oder so. Unterwegs hatte diese Idee eine gewisse Strahlkraft, ich fand das entspannend. Nachdem ich in Südvietnam aber tatsächlich 2 Tage mit Nichtstun am Strand zu verbringen versucht hatte, war mir fürchterlich langweilig. Und buchte schnellstmöglich einen Flug von Saigon nach Yangon, Myanmar. Dort bin ich jetzt und bereute den Entscheid keine Sekunde, im Gegenteil: Myanmar ist unglaublich schön.

Ich habe einige Etappen gefahren von Yangon aus, musste aber der Hitze weichen und bin mit dem Bus an den Inle See gefahren auf über 1000 Meter über Meer, wo es vergleichsweise kühl war (34 statt 39 Grad über Mittag). Die letzten Etappen bin ich dann wieder in der vollen Hitze gefahren, halt kürzere Distanzen mit vielen Trinkpausen. An Spitzentagen habe ich tagsüber 8 Liter Wasser getrunken.

Den Abschluss der Reise bildete Bagan, die Tempelstadt. Ein weiterer Höhepunkt auf dieser unglaublich schönen Reise. Die Burmesen bestechen durch ihre Mischung von Warmherzigkeit und Coolness: Lachen und Winken sobald ich auftauche, aber dann ist wieder gut und höfliche Distanz wird gewahrt. Das Land ist gut erschlossen mittlerweile, all die Schreckensgeschichten aus der Reiseliteratur gehören der Vergangenheit an. Bloss eine stimmt noch: in Myanmar dürfen Fremde nicht bei Privaten unterkommen für die Nacht. Auch wildes Zelten ist verboten.

Das kann auch komische Folgen haben: ein Velokollege, den ich in Yangon traf wusste zu erzählen, dass er nach einer langen Etappe am Abend sein Zelt am Waldrand auspackte, als eine Polizeieskorte auf Motorrädern anhielt und ihn zum Weiterfahren ins nächste Hotel aufforderte. Er gehorchte vernünftigerweise. Nun war aber das  nächste Hotel nicht gleich um die Ecke, sondern mehr als 50 km entfernt… die eifrigen Polizisten begleiteten ihn auf den Motorrädern während 3 Stunden, damit er nicht unterwegs wieder ins Gebüsch schlüpfte. Und das Hotel war auch kein Guesthouse für 15 Dollar, sondern ein Luxusresort für 175… Ärgerlich im Moment, aber eine gute Story für später. Ich habe viele Traveller getroffen und viele Geschichten gehört, einige wirklich gute.

 

 

Ein Teil von mir ist reisemüde mittlerweile. Der ewige Staub hier, die Hitze, das tägliche Ein- und Auspacken der Taschen, die schlechte Luft, das Glutamat im Essen (habe ich die Hitze schon erwähnt?) werde ich nicht vermissen. Der andere Teil aber würde gerne weiter, weiter, weiter fahren und freut sich schon auf die nächste Tour…

In Myanmar hätte ich zb gerne noch mehr Zeit verbracht, etwa einen Monat mindestens, In Nordvietnam war ich noch gar nicht, in Thailands Süden ebenfalls. Und Malaysia und Singapur gehörten ja eigentlich auch noch dazu. Und eben, Kambodschas Küste soll auch sehr schön sein…

 

Was zu kurz gekommen ist in diesem Blog sind all die Fotos, die ich gemacht habe unterwegs. Es sind tausende mittlerweile, darunter hat es auch ein paar gute. Das Hochladen bei den meist langsamen Internetbedingungen war zu mühsam, deshalb habe ich darauf verzichtet. Ich werde aber daheim in Bern den einen oder anderen Diaabend veranstalten für Interessierte und euch dazu herzlich einladen. Weitere Infos folgen.

Zudem will ich zwei gescheite Projekte finanziell unterstützen, die ich in Kambodscha und Myanmar kennen gelernt habe. Zu diesem Zweck möchte ich Postkartensets und Kalender verkaufen.

 

 

Den Besuchszahlen meiner Homepage und einigen persönlichen Rückmeldungen entnehme ich, dass mein Schreiben auf einiges Interesse gestossen ist, was mich natürlich sehr freut und ehrt.

 

 

Was ich total schätzen gelernt habe auf dieser Reise sind Facebook und WhatsApp. Damit fällt es enorm leicht, miteinander in Kontakt zu bleiben. Und lustigerweise hatte ich unterwegs mit einigen Leuten viel mehr Austausch, als wenn ich daheim bin…

 

Ich sage bye bye für den Moment und freue mich auf ein Wiedersehen daheim.

Röfe

 

 

 

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Murphy (Sonntag, 04 Januar 2015 13:53)

    Weiter mit dem Blog bitte ... ;-)

  • #2

    Dodle (Dienstag, 13 Januar 2015 18:23)

    Sehr schön Röfe! Da kommen Erinnerungen hoch! Zu Zeiten als es noch kein Smartphone gab... Wir wussten zwar, dass es einen Zoo an der Strasse 13 gab, haben ihn aber überhaupt nicht gefunden. Dafür einen wunderbaren Wasserfall... Aber wir waren wenigstens mit dem Auto unterwegs!
    Und einmal abends, suchten wir unser Resort. Ein Laote sollte uns führen... es wurde dunkel, und die armen Laoten dürfen nicht sagen, dass sie etwas nicht wissen... er fand dann zum Glück noch einen anderen Laoten, der doch ein bisschen eine Ahnung hatte, Strassen gab es längst nicht mehr, auch der Feldweg war zu Ende, es ging über Reisfelder, zum Glück war Trockenzeit! Aber so einen Sternenhimmel habe ich seither nie mehr gesehen! Khammouan Provinz in der Nähe der Kong Lor Höhle... Ich wünsche dir, dass du einmal auch mit soviel Freude an Laos zurückdenken kannst!